Reiche drängt auf eine längere Lebensarbeitszeit, um die deutschen Sozialsysteme nachhaltig und die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten. Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche plädierte in einem Interview dafür, dass die Menschen in Deutschland mehr Stunden pro Jahr arbeiten und weniger Jahre im Ruhestand verbringen sollten. Als Hauptgründe nannte sie den demografischen Druck und die steigende Lebenserwartung.
Warum Reiche für eine längere Lebensarbeitszeit plädiert
Reiche sagte, das Land könne nicht „zwei Drittel seines Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel im Ruhestand verbringen“, und bezeichnete einen Anstieg der Lebensarbeitszeit als unvermeidlich. Sie verwies auf Berichte von Unternehmen aus beiden Ländern, denen zufolge Arbeitnehmer in den USA durchschnittlich rund 1,800 Stunden pro Jahr arbeiten, in Deutschland hingegen nur rund 1,340 Stunden. Dies wertete sie als Beleg dafür, dass Deutschland im internationalen Vergleich relativ wenig arbeitet.
Der politische Rahmen: Keine schnelle Lösung im Koalitionsvertrag
Die Ministerin argumentierte, die im Koalitionsvertrag aufgeführten Maßnahmen würden nicht ausreichen, um den Druck auf die Sozialversicherung zu verringern und die Arbeitskosten wettbewerbsfähig zu halten. Sie forderte die Abschaffung von Anreizen zum vorzeitigen Ruhestand, ohne den speziellen Vorruhestandsweg für langjährig Versicherte explizit zu nennen. Gleichzeitig räumte sie ein, dass viele Berufe körperlich anstrengend seien, und erklärte, das Ziel sei es, denjenigen, die es können und wollen, zu ermöglichen, länger zu arbeiten.
Bestehende Gesetze und der Zeitplan bis 67
Deutschland erhöht das gesetzliche Renteneintrittsalter bereits schrittweise: Nach dem Start im Jahr 2012 erreicht das gesetzliche Renteneintrittsalter für die Jahrgänge 67 und jünger ab 2031 1964 Jahre. Ein vorzeitiger Ruhestand mit Abschlägen bleibt weiterhin möglich. Ausnahmen gelten für langjährige Beitragszahler und Menschen mit Schwerbehinderung. Die derzeitigen Regierungsparteien haben sich für mehr Flexibilität beim Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand und nicht für eine weitere Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ausgesprochen.
Kritiker lehnen längere Lebensarbeitszeit ab
Der sozialdemokratische Flügel der CDU (CDA) reagierte innerhalb weniger Stunden. Der stellvertretende Vorsitzende Christian Bäumler bezeichnete Reiche als „Außenseiterin“ im Kabinett und als „Fehlbesetzung“. Ihre Forderungen entbehrten jeder Grundlage im Koalitionsvertrag und ignorierten den hohen Teilzeitanteil in Deutschland, der die durchschnittliche Jahresarbeitszeit drücke.
Sozialverbände warnen vor einem Anstieg durch die Hintertür
Die SoVD-Vorsitzende Michaela Engelmeier warnte, Reiches Ansatz dürfe nicht zu einer Erhöhung des Renteneintrittsalters durch die Hintertür führen. Der Verband bekräftigte seine langjährige Forderung nach einer umfassenden Erwerbstätigenversicherung, die auch Beamte und Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einbezieht, um die Finanzen zu stabilisieren. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte vor einer Anhebung des Renteneintrittsalters und drängte auf eine Stärkung der Renteneinnahmen. Er plädierte zudem dafür, gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die Mütterrente steuerfinanziert und nicht aus Rentenbeiträgen zu finanzieren.
Reiches Fall verknüpft Arbeitszeit, Steuern und Wettbewerbsfähigkeit
Reiche plädiert für eine längere Lebensarbeitszeit in Verbindung mit einer höheren Jahresarbeitszeit, um die ihrer Meinung nach überlasteten Sozialsysteme und die hohen Lohnnebenkosten zu bekämpfen. Sie verknüpfte Wettbewerbsfähigkeit mit einem Mix aus Beiträgen, Steuern und Abgaben und warnte, der Faktor Arbeit drohe ohne Reformen seine Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Ihre Äußerungen spiegeln die frühere Warnung von Bundeskanzler Friedrich Merz wider, dass Wohlstand nicht durch eine Vier-Tage-Woche und eine enge Fokussierung auf die Work-Life-Balance gesichert werden könne.
Politische Temperatur und nächste Schritte
Öffentlich-rechtliche Sender und große Zeitungen berichteten nach dem Interview von einer intensiven innerparteilichen Debatte. Dies unterstrich, dass jeder Schritt hin zu einer längeren Lebensarbeitszeit innerhalb der Koalition und im Parlament umstritten sein wird. Die Regierung bleibt dabei, dass eine dauerhafte Lösung eine bessere Arbeitsmarktbeteiligung mit einer transparenten, rechtssicheren Rentenfinanzierung verbinden muss. Reiches Intervention signalisiert, dass das Kabinett die Debatte vorantreiben will, während die Gegner jeden Vorschlag an sozialer Gerechtigkeit und rechtlichen Verpflichtungen messen wollen.
