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Migranten verlassen Deutschland wegen Diskriminierung

by WeLiveInDE
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Hochqualifizierte Migranten denken über ihre Zukunft in Deutschland nach

Deutschland wirbt seit Jahren als Ziel für qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland. Doch immer mehr Migranten entscheiden sich nun für die Ausreise, was die Frage nach der tatsächlichen Gastfreundschaft des Landes aufwirft. Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) unter 50,000 Migranten ergab, dass jeder Vierte erwägt, Deutschland zu verlassen – insbesondere gut ausgebildete, erfolgreiche und bereits integrierte Migranten. Genau diese Menschen will Deutschland anziehen und halten.

Als Gründe für diesen Abwanderungstrend werden mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz, gefühlte Ausgrenzung und systematische Diskriminierung genannt. Viele Befragte gaben an, dass ihre Qualifikationen und Leistungen trotz jahrelangen Engagements in der deutschen Gesellschaft nicht gleichwertig anerkannt würden. Auch familiäre Gründe, hohe Steuern, politische Unzufriedenheit und bürokratische Hürden wurden häufig genannt.

Einzelne Geschichten offenbaren tiefere Muster

Giannis N., ein griechischer Bauingenieur, verließ Deutschland nach 16 Jahren trotz stabiler Karriere. Seine Entscheidung fiel nach wiederholten Erfahrungen von Ausgrenzung und offener Feindseligkeit. Als ein Kunde sich weigerte, eine hohe Rechnung zu bezahlen und erklärte: „Ich lasse Sie hier in Deutschland nicht reich werden“, erkannte Giannis ein Maß an Ressentiments, das er nicht länger ertragen konnte. Obwohl er beruflich tief integriert war, wurde er immer nur durch seine Nationalität wahrgenommen.

Kalina Velikova, eine bulgarische Projektmanagerin, hatte trotz perfekter Deutschkenntnisse mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie beschrieb während ihrer neun Jahre in Bonn eine anhaltende soziale Kälte und emotionale Distanz. Schließlich überwog das Gefühl der Isolation die wirtschaftlichen Vorteile des Bleibens. Heute lebt sie in Sofia, wo sie sich trotz niedrigerem Gehalt und längeren Arbeitszeiten stärker verbunden fühlt.

Für Utku Sen, einen türkischen Cybersicherheitsingenieur, kam der Wendepunkt nach drei Jahren in Berlin. Er beschrieb sein Leben in Deutschland als unsichtbar. Trotz seiner Qualifikationen fühlte er sich wie ein Außenseiter. Nachdem er ein virales Video über Diskriminierung veröffentlicht hatte, zog er nach London, wo er sich nun voll akzeptiert fühlt. Die Möglichkeit, auf Englisch zu leben, und die Offenheit der britischen Gesellschaft gaben ihm ein Gefühl der Zugehörigkeit.

Bürokratische und institutionelle Diskriminierung bleibt ungeahndet

Aktuelle Umfragen untermauern diese Aussagen. Eine bundesweite Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ergab, dass 19 Prozent der Befragten bereits Ungleichbehandlung durch öffentliche Einrichtungen erfahren haben. Unter Menschen mit Migrationshintergrund stieg dieser Wert auf 33 Prozent. Ähnliche Zahlen gaben Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen an.

Das Problem beschränkt sich nicht nur auf die lokale Verwaltung. Die Studie stellte fest, dass Diskriminierung auf mehreren Ebenen vorkommt – darunter bei Arbeitsämtern, der Polizei und sogar an Universitäten. Nach geltendem Recht haben Betroffene jedoch nur begrenzte Möglichkeiten, rechtliche Schritte einzuleiten. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt nur für private Arbeitsplätze und Dienstleistungen. Es schützt nicht vor Diskriminierung durch öffentliche Stellen.

Ferda Ataman, die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, kritisierte diese Gesetzeslücke scharf. Sie wies darauf hin, dass Kunden in Bäckereien oder Geschäften zwar vor Diskriminierung geschützt seien, im Umgang mit Behörden jedoch kein vergleichbarer Schutz bestehe. „Der Staat sollte eine Vorbildfunktion übernehmen“, sagte sie und warnte, der aktuelle Rechtsrahmen lasse Betroffene machtlos zurück.

Ataman fordert die Ausweitung des AGG auf alle öffentlichen Einrichtungen des Bundes, wie etwa die Bundesagentur für Arbeit, die Deutsche Rentenversicherung und die Bundespolizei. Sie befürwortet außerdem die Schaffung unabhängiger Beschwerdestellen und fordert die Bundesländer auf, eigene Antidiskriminierungsgesetze zu erlassen. Bisher hat nur Berlin ein solches Gesetz umgesetzt. Länder wie Frankreich, Österreich und die Niederlande bieten in diesem Bereich bereits besseren Schutz.

Die Forderung nach Reformen wird auch durch Daten gestützt, die einen starken Anstieg der Beschwerden belegen. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wegen unfairer Behandlung durch Behörden verdoppelt.

Steuerpolitik und Lebenshaltungskosten erhöhen den Druck

Neben sozialen und institutionellen Herausforderungen lastet auch der finanzielle Druck schwer auf vielen Migranten. Anastasios Penolidis, Leiter eines Flüchtlingslagers, betonte, wie schwierig es sei, selbst mit zwei Vollzeiteinkommen im Haushalt über die Runden zu kommen. Er kritisierte die hohen Steuersätze für Alleinstehende ohne Kinder und nannte sie ungerecht und entmutigend.

Für Penolidis und andere kommt zu der finanziellen Belastung noch subtiler, aber anhaltender Rassismus und mangelnde Anerkennung hinzu. Er erwägt nun, nach Griechenland zurückzukehren, falls sich nichts Wesentliches ändert. Seine Erfahrung deutet auf ein größeres Problem hin: Integrationsmaßnahmen, die sich nur auf Beschäftigung oder Sprachkenntnisse konzentrieren, greifen zu kurz, wenn sich die Gesellschaft selbst nicht weiterentwickelt.

Steigende Spannungen spiegeln umfassendere gesellschaftliche Veränderungen wider

Die Situation für Migranten in Deutschland wird durch zunehmende politische Spannungen zusätzlich erschwert. Die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) erzielte bei der Bundestagswahl im Februar 2025 deutliche Zugewinne und wurde zur zweitstärksten Partei im Parlament. Ihr Wahlkampf nutzte die Ängste der Bevölkerung vor Migration, insbesondere die Sorge um Wohnungsmangel, überfüllte Schulen und die Belastung des Sozialsystems.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2024 bestätigte, dass die negative Wahrnehmung von Einwanderung in der Bevölkerung zunimmt. Die Folge ist eine wachsende Kluft zwischen den staatlichen Bemühungen, Fachkräfte anzuwerben, und der Bereitschaft der Bevölkerung, diese aufzunehmen.

Deutschland am Scheideweg

Experten warnen, dass Deutschland entscheidende Veränderungen vornehmen muss, wenn es für internationale Talente attraktiv bleiben will. Sprachkenntnisse, Jobangebote und ein legaler Aufenthalt reichen nicht aus. Migranten müssen sich gesehen, respektiert und geschützt fühlen – nicht nur vom Gesetz, sondern von der Gesellschaft als Ganzes.

Strukturelle Änderungen der Antidiskriminierungsgesetze, Bürokratieabbau, eine gerechtere Steuerpolitik und proaktive Aufklärung der Bevölkerung könnten dazu beitragen, den Trend der Ernüchterung umzukehren. Doch wenn diese Änderungen nicht bald eintreten, könnten sich immer mehr Fachkräfte still und leise für die Abwanderung entscheiden und ihr Fachwissen mitnehmen.

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