Die künftige Koalitionsregierung aus CDU/CSU und SPD ist durch eine öffentliche Meinungsverschiedenheit zwischen den Parteispitzen über einen der heikelsten Punkte des Koalitionsvertrags erschüttert: die Zukunft des Mindestlohns. Während sich die SPD-Mitglieder auf die Abstimmung über den endgültigen Vertrag vorbereiten, hat CDU-Chef und künftiger Bundeskanzler Friedrich Merz die Behauptungen der SPD, eine Erhöhung auf 15 Euro pro Stunde sei im kommenden Jahr garantiert, entschieden zurückgewiesen.
Nur wenige Wochen vor seinem Amtsantritt widersprach Merz dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil, der erklärt hatte, der Koalitionsvertrag sehe eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro bis 2026 vor. Merz hält diese Interpretation für irreführend. „Das haben wir nicht vereinbart“, erklärte er in Interviews mit den bundesweiten Medien. Er stellte klar, die Koalition habe lediglich die Erwartung geäußert, dass die unabhängige Mindestlohnkommission eine solche Erhöhung prüfen könnte – es sei jedoch weder eine rechtliche Verpflichtung noch ein Zeitplan festgelegt worden.
Kein Rechtsmechanismus für sofortige Lohnerhöhungen
Merz betonte, dass die Lohnkommission bei der Festlegung der Löhne autonom bleiben müsse. „Es wird keine automatische gesetzliche Erhöhung geben“, sagte er. Die Kommission, nicht die Regierung, legt den offiziellen Mindestlohn auf Grundlage von Wirtschaftsdaten, Arbeitsmarktbedingungen und Tarifverhandlungen fest. Derzeit liegt der Mindestlohn in Deutschland bei 12.82 Euro pro Stunde.
Der Koalitionsvertrag sieht zwar Berichten zufolge die 15-Euro-Marke als Ziel vor, verpflichtet die Regierung aber nicht, diese Zahl gesetzlich durchzusetzen. Merz bekräftigte, dass der Lohn bis 15 oder 2026 2027 Euro erreichen könne, allerdings nur durch das Verfahren der Kommission. Die entschiedene Haltung des CDU-Vorsitzenden wird von politischen Analysten als frühzeitige Ausübung seiner Autorität gewertet – und als klares Zeichen dafür, dass in der neuen Koalition bereits interne Meinungsverschiedenheiten zutage treten.
SPD steht vor interner Abstimmung unter Druck
Die Meinungsverschiedenheit kommt für die SPD zu einem heiklen Zeitpunkt, da sie die Zustimmung ihrer Mitglieder zum Koalitionsvertrag sichern muss. Die interne Abstimmung beginnt diese Woche, Ergebnisse werden Ende April erwartet. Die SPD-Führung hatte den 15-Euro-Lohn als großen sozialpolitischen Erfolg bezeichnet und versucht, die Unterstützung der Parteimitglieder zu gewinnen.
Merz' öffentliche Korrektur hat jedoch Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Behauptungen geweckt. Die SPD könnte nun mit Gegenreaktionen aus den eigenen Reihen konfrontiert werden, insbesondere von Mitgliedern, die klare Zusagen zu sozialer Gerechtigkeit und Einkommenssicherung erwartet hatten.
Die Mindestlohnfrage war bereits eines der politisch symbolträchtigsten Elemente der Vereinbarung, und Merz‘ Intervention deutet darauf hin, dass sie zu einem der ersten großen Konflikte zwischen den Koalitionspartnern werden könnte.
Auch Steuererleichterungen für mittlere Einkommen ungewiss
Neben der Lohndebatte kippte Merz auch ein weiteres zentrales SPD-Versprechen: Einkommensteuersenkungen für Gering- und Mittelverdiener. Während die SPD angedeutet hatte, diese seien Teil des Konjunkturpakets der Koalition, erklärte Merz, solche Steuersenkungen seien „offen“ und nur möglich, wenn die öffentlichen Finanzen es erlaubten.
„Es gab eine Meinungsverschiedenheit, deshalb haben wir es aus der endgültigen Vereinbarung herausgelassen“, erklärte Merz. Er räumte die Befürchtung ein, dass viele Arbeitnehmer aufgrund steigender Sozialbeiträge und der Inflation weniger Nettoeinkommen haben könnten. „Diese Sorge ist aus heutiger Sicht nicht unberechtigt“, sagte er und fügte hinzu, die Regierung müsse während ihrer Amtszeit handeln, um das Problem zu lösen.
Merz betonte, dass jegliche Steuererleichterungen finanziell tragfähig sein müssten und von der Lage des Bundeshaushalts in den nächsten Jahren abhingen.
Politische Botschaften versus rechtliche Verpflichtungen
Beobachter meinen, die öffentliche Meinungsverschiedenheit zwischen CDU und SPD in der Mindestlohn- und Steuerpolitik spiegele tiefere Spannungen innerhalb der Koalition wider. Sie zeige zudem eine wachsende Kluft zwischen den politischen Botschaften, die zur Sicherung der Unterstützung von Bevölkerung und Partei eingesetzt werden, und den rechtlichen und institutionellen Grenzen der Regierungsführung.
Während die SPD den Koalitionsvertrag als fortschrittlichen Schritt nach vorn darstellen möchte, betont die CDU die Haushaltsverantwortung und die Notwendigkeit institutioneller Unabhängigkeit – insbesondere im Hinblick auf die Verfahren zur Lohnfestsetzung.
Ob diese anfänglichen Streitigkeiten beigelegt werden können, ohne das Vertrauen zwischen den Koalitionspartnern zu untergraben, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch bereits, dass die von Merz geführte Regierung bei der Umsetzung von Wahlversprechen in verbindliche Politik möglicherweise vorsichtiger vorgeht als von ihren Partnern erhofft.