Die neue Bundesregierung unter CDU-Chef Friedrich Merz hat einen umfassenden Koalitionsvertrag vorgelegt, der die stagnierende deutsche Wirtschaft wiederbeleben soll. CDU/CSU und SPD haben sich auf eine Strategie geeinigt, die auf Steuererleichterungen, niedrigere Energiepreise und Bürokratieabbau setzt. Ziel ist es, das Vertrauen der Investoren wiederherzustellen und die industrielle Produktivität zu steigern.
Die Lage ist ernst: Die deutsche Wirtschaft ist seit drei Jahren kaum gewachsen. Die Produktion in energieintensiven Branchen wurde drastisch reduziert, Inflationsängste nehmen zu, und neue Zölle der USA unter Präsident Donald Trump haben die Stimmung in der Wirtschaft verschlechtert. Angesichts eines prognostizierten BIP-Wachstums von lediglich 0.1 Prozent für das laufende Jahr steht die neue Koalition unter Druck, ihre Ziele zu erreichen.
Im Mittelpunkt ihres Plans steht die „Planungssicherheit“. Dieser Begriff wurde von Merz in Interviews verwendet, um das Ende der Unsicherheit zu signalisieren, die die vorherige Regierung geplagt hatte. Die neue Koalition verspricht politische Klarheit „über diese Legislaturperiode hinaus“.
Milliardenschwere Steuererleichterungen und Investitionsanreize
Ein zentraler Bestandteil der Koalitionsagenda ist die Unternehmensteuerreform. Die Regierung plant, den Körperschaftsteuersatz ab 2028 schrittweise zu senken und Unternehmen die Abschreibung eines größeren Teils ihrer Investitionskosten zu ermöglichen. Ziel ist es, einen Investitionsschub auszulösen und die deutsche Industrie anzukurbeln.
Auch die Energiepolitik spielt eine zentrale Rolle bei den Hilfsmaßnahmen. Die Koalition hat sich verpflichtet, die Stromsteuer auf das nach EU-Vorschriften zulässige Minimum – mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde – zu senken. Die Netzentgelte werden für alle Verbraucher gesenkt, und für energieintensive Unternehmen wird ein günstigerer Industriestrompreis eingeführt. Zudem wird der Gasspeicherzuschlag abgeschafft, was die Erdgaspreise potenziell senken könnte.
Auch das Gastgewerbe dürfte profitieren. Die Mehrwertsteuer auf Speisen in Restaurants wird dauerhaft auf sieben Prozent gesenkt. Allein diese Maßnahme könnte die Branche um rund vier Milliarden Euro entlasten, schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Bei vollständiger Umsetzung aller vorgeschlagenen Steuer- und Energiemaßnahmen könnte die finanzielle Belastung der Industrie und der Verbraucher um mehr als 11 Milliarden Euro jährlich verringert werden.
Automobilindustrie und Elektromobilität
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Stärkung der starken deutschen Automobilindustrie. Der Koalitionsvertrag sieht besondere Steueranreize für den Kauf von Elektrofahrzeugen, eine Befreiung von der Kfz-Steuer für Elektroautos und einen beschleunigten Ausbau der Ladeinfrastruktur vor. Unterstützt werden diese Bemühungen durch Mittel aus dem Klima-Sozialfonds der EU, der einkommensschwachen Familien den Zugang zu Elektromobilität erleichtern soll.
Dennoch bleiben die Automobilverbände skeptisch. Sie argumentieren, dass den aktuellen Vorschlägen Klarheit fehle und sie möglicherweise nicht stark genug seien, um das stagnierende Wachstum der Elektromobilität anzukurbeln. Der Plan der Koalition, so die Verbände, müsse über symbolische Gesten hinausgehen, um wirkliche Wirkung zu erzielen.
Bürokratieabbau und digitale Modernisierung
Eine der häufigsten Klagen deutscher Unternehmen ist die bürokratische Überlastung. Die Koalition verspricht, diese Verwaltungskosten um 25 Prozent zu senken, was zu geschätzten Einsparungen von rund 16 Milliarden Euro führt. Dazu gehört die Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes, das eine umfangreiche Dokumentation vorschrieb, und dessen Ersetzung durch eine vereinfachte, EU-konforme Regelung.
Experten halten Digitalisierung und künstliche Intelligenz für unverzichtbare Instrumente zum Bürokratieabbau. Obwohl diese Technologien im Koalitionsvertrag mehrfach erwähnt werden, fordern Ökonomen eine schnellere Umsetzung. Für echte Fortschritte, so argumentieren sie, seien mehr Mittel für Forschung, Bildung und Innovation erforderlich.
Laut Ifo-Institut kostet die Bürokratie Deutschland derzeit jährlich rund 150 Milliarden Euro. Schon eine geringfügige Reduzierung dieses Betrags hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Produktivität.
Handelspolitik und strategische Unabhängigkeit
Die globalen Handelsspannungen haben Deutschlands Notwendigkeit verstärkt, seine internationalen Partnerschaften zu diversifizieren. Die Koalition plant, die Wirtschaftsbeziehungen mit Ländern wie Indien, Australien und mehreren südostasiatischen Staaten zu vertiefen. Auch afrikanische Partnerschaften stehen auf der Agenda.
Während das Abkommen detaillierte Kommentare zum aktuellen Zollstreit mit den USA vermeidet, drückt es die Hoffnung auf ein künftiges transatlantisches Freihandelsabkommen aus. Kurzfristig will die Koalition die Spannungen deeskalieren und die Einfuhrzölle auf beiden Seiten senken.
Beobachter sind angesichts der jüngsten Marktvolatilität überrascht, dass es keine detaillierte Antwort auf die US-Handelspolitik gibt. Die Koalition zielt jedoch eindeutig darauf ab, die Abhängigkeit von amerikanischen politischen Entscheidungen durch die Ausweitung der deutschen globalen Wirtschaftspräsenz zu verringern.
Warnungen von Ökonomen vor verpassten Chancen
Während Wirtschaftsführer und Ökonomen viele der Maßnahmen, darunter Steuersenkungen und vereinfachte Meldepflichten, begrüßen, warnen mehrere Stimmen, dass das Paket möglicherweise nicht weit genug gehe.
Jens Südekum, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf, kritisiert, dass die Steuerreformen zu langsam und zu begrenzt seien. Andere, wie Monika Schnitzer vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, kritisieren das Fehlen einer Rentenreform. Sie sei ein entscheidendes fehlendes Element der Einigung.
Deutschlands demografische Herausforderungen sind gewaltig. Die alternde Bevölkerung führt zu einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung und steigenden Belastungen durch Renten und Gesundheitsversorgung. Ökonomen befürchten, dass ohne Strukturreformen, insbesondere im Sozialbereich, die langfristige Stabilität gefährdet sei.
Trotz dieser Kritik beharren Koalitionsführer wie SPD-Vorsitzende Saskia Esken darauf, dass das Abkommen den nötigen wirtschaftlichen Impuls in Deutschland auslösen könne. Mit 500 Milliarden Euro Investitionsmitteln für Klimaschutz und Infrastruktur in den nächsten zwölf Jahren hofft die Regierung, ein Gleichgewicht zwischen Wachstumsförderung und Haushaltsdisziplin zu finden.